Geschrieben am: 24.04.2023
Neue Podcast-Folge: Künstliches Blut - wie weit ist die Forschung?
„Ist es möglich, künstliches Blut herzustellen?“ Das fragen sich nicht nur unsere Blutspenderinnen und Blutspender, sondern auch Forscher. Ohne Blut sind wir nicht lebensfähig, denn unser Blut übernimmt viele lebenswichtige Aufgaben im Körper, zum Beispiel den Transport von Sauerstoff. Gibt es vielleicht schon bald synthetisches Blut aus dem Labor? Werden Blutspender also überflüssig?
Was macht unser Blut so besonders?
Unser Blut setzt sich aus vielen Inhaltsstoffen zusammen. Ein Großteil davon sind Zellen: rote Blutkörperchen (Erythrozyten), weiße Blutkörperchen (Leukozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten). Diese Zellen haben ihren Ursprung im Knochenmark, welches für die Blutbildung verantwortlich ist. Darin liegen Stammzellen, die sich permanent teilen und somit zu unterschiedlichen Linien der Blutzellen werden können. Die Blutzellen tragen auf ihrer Zelloberfläche außerdem verschiedene Moleküle als Antigene, die unter anderem die Blutgruppe festlegen. Neben diesen zellulären Bestandteilen besteht Blut zudem aus einem flüssigen Anteil, dem Blutplasma. Das Blutplasma enthält Wasser und viele verschiedene Stoffe, die darin gelöst sind. Dazu gehören vor allem
- Eiweiße (Proteine)
- Vitamine
- Hormone
- Nährstoffe
- Stoffwechselprodukte
- Spurenelemente
- Elektolyte
Die unterschiedlichen Eiweiße erfüllen wichtige Aufgaben, zum Beispiel den Transport von anderen Stoffen oder als Antikörper einen Teil der Immunabwehr. Das alles macht unser Blut aus. Es wird an vielen Stellen im Körper produziert - und das ist gar nicht so leicht zu reproduzieren. In unserem Artikel Blutbestandteile gehen wir noch etwas ausführlicher auf die Zusammensetzung unseres Blutes ein.
Um die Schwierigkeiten und die Herausforderung für die Forschung bei der Entwicklung von künstlichem Blut besser zu verstehen, haben wir Herrn Prof. Dr. med. Torsten Tonn in unseren Podcast 500 Milliliter Leben eingeladen. Prof. Tonn ist medizinischer Geschäftsführer bei den DRK-Blutspendediensten Baden-Württemberg - Hessen und Nord-Ost und Universitätsprofessor für Transfusionsmedizin an der Goethe-Universität Frankfurt. Gemeinsam mit unserer Moderatorin Cornelia Kruse wird er das Thema beleuchten.
In unserer Folge wollen wir ganz von vorne starten und zuerst einmal aufklären: Was versteht man alles unter dem Begriff “Künstliches Blut“? Und: Gibt es vielleicht schon bald synthetisches Blut aus dem Labor? Werden Blutspender also überflüssig?
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Blut künstlich herstellen
Seit Jahrzehnten wird in den Forschungslaboren nach dem perfekten Blutersatz gesucht, und das hat gute Gründe: In Deutschland werden pro Jahr Millionen Blutkonserven für die Versorgung von Patientinnen und Patienten gebraucht. Lebenswichtige Bluttransfusionen sind bislang nur durch den stetigen Einsatz von Spenderinnen und Spendern möglich. Während Blut weiterhin kontinuierlich benötigt wird, nimmt die Zahl der Blutspenderinnen und Blutspender demografiebedingt seit einigen Jahren kontinuierlich ab. Könnte künstliches Blut eine Lösung für das Dilemma sein?
Was hat die Forschung schon versucht?
Für die Transfusionsmedizin ist es gar nicht nötig, Blut in seiner genauen Zusammensetzung künstlich nachzubauen. Schließlich wird auch eine Vollblutspende in ihre unterschiedlichen Bestandteile aufgetrennt. Bei einer Bluttransfusion erhalten die Patienten dann nur das, was sie wirklich brauchen. In unserem Artikel Was passiert mit meiner Blutspende erfährst du mehr darüber.
Dementsprechend haben Forscher bereits in den 1960er Jahren versucht, eine der wichtigsten Aufgaben des Blutes, den Sauerstofftransport, künstlich zu ersetzen. Dazu experimentierten sie mit sogenannten Perfluorkohlenstoffen (PFC), die Sauerstoff prinzipiell transportieren können. Im Patienten funktionierte das jedoch leider nicht so wie erhofft. Eine andere Idee war, freies Hämoglobin als Sauerstoffträger und Blutersatzstoff zu verabreichen. Hämoglobin ist in den roten Blutkörperchen enthalten und dort dafür verantwortlich, den Sauerstoff zu binden, zu transportieren und an den benötigten Stellen in den Kapillaren wieder abzugeben. Doch auch diese Versuche scheiterten, weil freies Hämoglobin außerhalb der roten Blutkörperchen in der erforderlichen Menge giftig wirkt.
Wie können Forschende künstliches Blut herstellen?
Die aktuelle Forschung verfolgt verschiedene Ansätze, um einen geeigneten Blutersatz herzustellen. Manche Forschungsgruppen arbeiten daran, Hämoglobin so zu verpacken oder zu binden, dass es stabil und ungiftig Sauerstoff transportieren kann. Beispielsweise haben Forschende der Universität von Albuquerque in den USA rote Blutkörperchen aus Silikat nachgeformt. Diese könnte man als Hülle für das Hämoglobin verwenden. Von einer tatsächlichen Anwendung ist der Ansatz aber noch weit entfernt.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, rote Blutkörperchen aus Stammzellen zu züchten. Einerseits könnten fertige Körperzellen eines Patienten entnommen und zu Stammzellen umprogrammiert werden, damit sie sich anschließend zu roten Blutkörperchen entwickeln. Das Immunsystem des Patienten würde die roten Blutkörperchen als körpereigen erkennen, da sie von einer eigenen Zelle des Patienten abstammen und dieselben Gewebemerkmale aufweisen. Weil die Zellentwicklung einige Zeit dauert, ist dieser Ansatz jedoch nicht für eine Notfallsituation geeignet. Das könnte hingegen die Züchtung von Blutstammzellen aus dem Knochenmark erreichen, aus denen ohnehin Blutzellen entstehen. Diese Blutstammzellen lassen sich im Labor vermehren und über gezielte Zugabe bestimmter Substanzen als rote Blutkörperchen gewinnen.
Prof. Dr. med. Torsten Tonn und sein Team unter Leitung von Frau Dr. Romy Kronstein-Wiedemann in Dresden gehören zu den wenigen Gruppen weltweit, die im Bereich der Züchtung menschlicher Erythrozyten aus Stammzellen forschen. Der Ersatz von Blutplättchen kann ebenfalls mittels Züchtung von entsprechenden Vorläuferzellen auf ähnliche Weise funktionieren.
Das Besondere an roten Blutkörperchen
Rote Blutkörperchen sind kleine Zellen, die Hämoglobin enthalten und daran gebundenen Sauerstoff transportieren. Sie haben eine auffällige flache Form mit einer Delle auf beiden Seiten. Im Laufe ihrer Reifung verlieren sie ihren Zellkern, wodurch sie sehr flexibel sind und sich durch die kleinste Kapillare pressen können. Bei der Herstellung von gezüchteten roten Blutkörperchen ist die Entfernung des Zellkerns eine der größten Herausforderungen. Deshalb sind manche Forschungsteams dazu übergegangen, diesen Schritt dem Körper zu überlassen. Sie planen, eine Vorstufe der roten Blutkörperchen noch mit Zellkern als Blutersatz zu verwenden. Erste Studienergebnisse bestätigen, dass dies möglich ist und der Körper den Zellkern auch von diesen injizierten Vorläuferzellen effizient entfernen kann.
Wie ist künstliches Blut einsetzbar?
Die Ansätze zur Herstellung von roten Blutkörperchen oder Blutplättchen im Labor sind recht vielversprechend. Mit Hilfe gentechnischer Veränderung gelingt es zudem, die gezüchteten Blutzellen blutgruppenneutral herzustellen. Dadurch sind sie für alle Patienten verträglich. Allerdings sind Aufwand und Kosten der Zellzüchtung sehr hoch, während die Ausbeute eher niedrig ist. Deshalb wird künstliches Blut auch in den nächsten Jahrzehnten das Spenderblut höchstwahrscheinlich nicht ersetzen können. Es gibt jedoch gewisse Situationen, in denen der Einsatz von gezüchteten Blutzellen schon in einigen Jahren denkbar wäre. Dazu zählt die Versorgung von Menschen mit äußerst seltenen Blutgruppen. Womöglich können gezüchtete Blutzellen zukünftig auch Engpässe an Blutspenden überbrücken, die bei einer immer älter werdenden Bevölkerung voraussichtlich zunehmen.
Gezüchtete Blutzellen für seltene Blutgruppen
Manche seltenen Blutgruppenmerkmale unterscheiden sich von den typischen Merkmalen des AB0- und Rhesussystems. Diese können sogar durch Mutationen bei einzelnen Menschen entstehen. Für Betroffene kommt dann keine Blutspende infrage, weil keine passende Blutgruppe verfügbar ist. Für die meisten Menschen ist zwar die sogenannte Universalblutspende mit der Blutgruppe 0 negativ verträglich, aber es gibt Ausnahmen. Beispielsweise haben nur etwa 40 Menschen weltweit die Blutgruppe Rhesus Null, die als“ Goldenes Blut“ bekannt ist. Sie können ausschließlich Blut von anderen Menschen mit genau dieser Blutgruppe erhalten, was aufgrund der Seltenheit schwierig ist. Im Labor gezüchtete Blutzellen könnten in solchen Fällen einen enormen Fortschritt bedeuten, da die problematischen Oberflächenmerkmale gentechnisch entfernt werden können und die Blutzellen somit auch für extrem seltene Blutgruppen als Bluttransfusion geeignet wären.
Künstliches Blut zusätzlich zu Blutspenden denkbar
Künstliches Blut könnte in einigen Jahren die Blutspendesituation entlasten und vor allem für Menschen mit seltenen Blutgruppen eine Lösung darstellen. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass künstliches Blut das Blutspenden in den nächsten Jahrzehnten vollständig ersetzen wird. Daher bleibt es für viele Patienten überlebenswichtig, dass Menschen regelmäßig zu Blutspendeterminen gehen und Blut spenden!
FAQ - Häufig gestellte Fragen über künstliches Blut
Vollblut mit allen seinen Bestandteilen herzustellen, ist sehr komplex und bislang nicht möglich. Für den praktischen Nutzen einer Bluttransfusion reicht es aber aus, nur den benötigten Blutbestandteil zu ersetzen. Dabei handelt es sich häufig um rote Blutkörperchen, die Wissenschaftler bereits jetzt im Labor züchten können.
Nein. Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis im Labor gezüchtete Blutzellen in der Transfusionsmedizin tatsächlich einsatzbereit sind.
Damit ist nicht zu rechnen. Der Aufwand und die Kosten von gezüchteten Blutzellen sind zu groß, um Blutspender vollständig ersetzten zu können. Allerdings könnte künstliches Blut zusätzlich zu Blutspenden in der Transfusionsmedizin zum Einsatz kommen und eine Lösung für bestimmte Situationen darstellen.