Geschrieben am: 13.10.2022
Leben mit einem Immundefekt – wie Medikamente aus Blut- und Plasmaspenden helfen
Nicht ohne meine Medikamente – Ulrike Stamm greift sogar zu Tiefkühlerbsen, um auf Reisen ihre Medikamente sicher zu transportieren
Ulrike Stamm ist eine von 300 Berlinerinnen und Berlinern, die mit einem angeborenen Immundefekt leben. Die Professorin für neuere deutsche Literaturwissenschaft vermutet jedoch, dass die Dunkelziffer von nicht Diagnostizierten um ein Vielfaches höher liegt.
Was bedeutet die Diagnose CIVD?
Ihre eigene Diagnose CIVD erhielt sie vor 12 Jahren. „Das war zunächst ein Schock“, erinnert sich die heute 61jährige. Doch die schweren Infektionen, die vorausgegangen waren, empfand sie als noch viel schockierender. Der weitgehend unbekannte Immundefekt CIVD, bei dem der Körper keine oder kaum Antikörper gegen Infektionen bilden kann, lässt sich durch spezielle Medikamente, die aus gespendetem Plasma hergestellt werden können, jedoch behandeln und ermöglicht den Betroffenen ein weitgehend normales Leben.
Mit der Diagnose wendete sich für die Berlinerin alles zum Besseren. Inzwischen kann Ulrike Stamm gelassener auf ihre Erkrankung blicken. Die Krankheit ist dank einer recht unkomplizierten Behandlung alltäglich geworden und hat den anfänglichen Schrecken weitgehend verloren.
Einmal in der Woche spritzt sich Ulrike Stamm ein Medikament, das aus von gesunden Menschen gespendetem Blutplasma hergestellt wird. Die sogenannten Immunglobuline regen die Antikörperbildung an und schützen sie wie alle Gesunden weitgehend vor schweren Infektionen. Ulrike Stamm ist in regelmäßiger ärztlicher Kontrolle, der Medikamentenspiegel wird in wiederkehrenden Abständen geprüft und ggf. angepasst. „Immunglobuline sind super“, sagt die Patientin, ein normales Leben ist möglich und ich habe keine heftigen Infektionen mehr“. Sie ist sicher: „Meine zweite Erkrankung Diabetes ist mittlerweile die größere Herausforderung“.
Die lebensnotwendigen Immunglobuline begleiteten sie sogar bei beruflich bedingten Auslandsaufenthalten. Für ein Gastsemester in den USA reiste ein Vorrat an Medikamenten in einer Kühlbox im Flugzeug mit. Für die anschließende mehrstündige Busfahrt besorgte sich Ulrike Stamm vor Ort dann kurzerhand Tiefkühlerbsen, die die Immunglobuline auf der geforderten Temperatur hielten.
Die Patientenorganisation DSAI e.V. ist für Betroffene und Ärzte ein wichtiges Netzwerk
Ulrike Stamms Krankheit wird in der breiten Bevölkerung häufig nicht erkannt, sie weiß, dass z.B. in Berlin rund 300 Patienten bekannt sind, 60 von ihnen sind in der Patientenorganisation DSAI e.V. organisiert, doch die Dunkelziffer liegt wohl deutlich höher. Nur rund 10% der Betroffenen in Deutschland sind diagnostiziert, da die Diagnose schwer zu treffen ist. Deshalb engagiert sich die DSAI e.V. u.a. auch in Ärztefortbildungen. www.dsai.de
Bundesweit gibt es mittlerweile 6-8 Patientenzentren für Immundefekterkrankungen. Auch Patienten wie Ulrike Stamm sind hier aktiv. Stamm begleitet und organisiert z.B. für die DSAI e.V. Ärztefortbildungen in Berlin mit. „Ich bin dort ehrenamtlich Regionalgruppenleiterin für Berlin, zusammen mit einer zweiten Person. Direkt nach meiner Diagnose war ich sehr hilflos und bin froh, dass es Organisationen wie die DSAI gab und ich dort erste Informationen erhalten konnte“. Ulrike Stamm möchte durch ihr Engagement etwas zurückgeben. „Außerdem profitiere ich selber von dem Austausch, den die DSAI ermöglicht“, sagt sie.
Auch Patientenstammtische sind enorm wichtig, „Als Regionalgruppenleiterin erhalte ich manchmal Anrufe von anderen Betroffenen mit einem Immundefekt, da sind die Stammtische, die inzwischen auch virtuell abgehalten werden, immer sehr informativ“. Die Stammtische ermöglichen den Austausch über Medikamente, die Anwendung der Selbstmedikation, über Spritzenmaterial, Studien, Impfungen und andere für Betroffene wichtige Fragen. Dabei werden auch Kontakte zu Pharmafirmen, die Immunglobuline herstellen, geknüpft. Diese sind auf Patientenauskünfte für die Optimierung der Medikamente angewiesen. Aber auch der Umgang für Angehörige mit der Krankheit ist ein wichtiges Thema.
Mit der Pandemie kam auch für Ulrike Stamm noch einmal ein Einschnitt. Als Risiko-Patientin lebten sie und ihre Familie sehr vorsichtig, bis die Impfung möglich war. Besonders glücklich ist sie, dass ihr Körper nach der zweiten Impfung Antikörper gebildet hatte, „was ja bei CVID nicht unbedingt zu erwarten war“.
Heute unterrichtet Ulrike Stamm ihre Studenten an der Universität wieder in Präsenz. Eine Sorge bleibt trotzdem: immer weniger Menschen weltweit spenden Blut oder Blutplasma, so dass weniger Immunglobuline hergestellt werden können, obwohl der Bedarf weltweit wächst. „Im Herbst 2021 gab es eine Phase, wo Medikamente schwer zu kriegen waren, da nicht verfügbar, und Lieferketten gestört waren“, erinnert sie sich. „Es ist schon erschreckend, wenn ich daran denke, dass der ‚Stoff‘ nicht verfügbar sein könnte“.
Hilfe für Betroffene durch Blut- und Plasmaspenden
Auch derzeit ist die Versorgungslage mit Immunglobulinen und Medikamenten, die aus Plasma hergestellt werden, wieder sehr angespannt. Der Rückgang in der Spendebereitschaft sowohl bei der Blutspende als auch bei der Plasmaspende bereitet nicht nur den Betroffenen, sondern auch den betreuenden Ärzten große Sorgen.
„Mit Blick auf viele Arten von Erkrankung sind Blut- und Plasmaspenden sehr wichtig und eine Möglichkeit, wie man relativ einfach für betroffene Patienten viel bewirken kann“, sagt Ulrike Stamm. „Ich bin allen Spendenden sehr dankbar, denn ohne diese Spenden wäre ich doch ziemlich gefährdet“.
Dabei ist Hilfe ganz einfach: Wenn Du Menschen wie Ulrike Stamm helfen möchtest, kannst Du beim DRK Blut spenden www.drk-blutspende.de und www.blutspende-nordost.de/blutspendetermine oder auch eine Plasmaspende leisten www.plasmaspende.blutspende.de